1989 - 1990 Wende-Zeiten

Montagsdemonstrationen

Die Stadt Leipzig wurde im Herbst 1989 zum Geburtsort der Montagsdemonstrationen. Die großen Protestzüge  tausender DDR-Bürger fanden bald Nachahmung in anderen Städten der DDR und wurden zum Sinnbild  für die friedlich verlaufende Revolution in Ostdeutschland.

Leipzig gilt als Geburtsort und Zentrum der so genannten Montagsdemonstrationen.

Seit 1980 hielt die evangelische Kirche in Leipzig jeweils im November eine Friedensdekade ab. Wegen des großen Zuspruchs bot die Gemeinde ab September 1982 wöchentlich Friedensgebete in der Nikolaikirche an.

Ab 1988 bekamen die Friedensgebete zunehmend politischen Charakter. Die Teilnehmerzahl stieg an. Gesellschaftskritische christliche Basisgruppen nutzten den geistigen Freiraum, der ihnen die Kirche bot, um über Themen wie  Abrüstung und Friedenssicherung, Umweltverschmutzung, demokratische Reformen, Probleme in der Dritten Welt und die Durchsetzung von internationalen Menschenrechten im eigenen Land zu diskutieren. Die Unzufriedenheit mit den Lebensverhältnissen in der DDR, der Unmut über die gefälschten Wahlergebnisse der Kommunalwahlen im Mai 1989 und der Ärger der Ausreisewilligen, nicht nach freier Entscheidung ausreisen zu können, führten schließlich zu vehementeren Formen der politischen Meinungsäußerung als der Friedensgebete.

Am 4. September fand im Anschluss an das traditionelle Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche die erste große Montagsdemonstration des Herbstes 1989 statt. Von nun an stieg mit jeder Woche die Zahl der Teilnehmer und auch die Brisanz des öffentlichen Protestes. Die Sicherheitskräfte versuchten mit Gewalt die Versammlungen zu verhindern. Am 25. September 1989 protestierten dennoch 5.000 bis 8.000 Menschen für Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Am 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der Republik, gingen in Leipzig und weiteren Großstädten der DDR, wie Dresden, Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) oder Ost-Berlin, zehntausende Bürger auf die Straße. Die Sicherheitskräfte gingen gewaltsam gegen die Protestierenden vor und nahmen zahlreiche Demonstranten fest. Eine Erklärung der DDR-Führung, verlesen in der „Aktuellen Kamera“ vom 24. Oktober 1989, versuchte ein anderes Bild zu zeichnen:

„In der Erklärung zu Anfragen zahlreicher Bürger im Zusammenhang mit den Polizeieinsätzen in den letzten Wochen heißt es, die Schutz- und Sicherheitsorgane hatten stets den ausdrücklichen Befehl, äußerste Zurückhaltung zu üben und alle Maßnahmen für einen friedlichen Ausgang der Demonstrationen zu unternehmen. Vorbereitet und Vorgeschlagen habe diesen Befehl der heute gewählte Staatsratsvorsitzende Egon Krenz. Von einem aktiven Einsatz polizeilicher Kräfte und Mittel sei nur bei Gewaltanwendung der Demonstranten die Rede gewesen. Schusswaffeneinsatz war grundsätzlich verboten. Dr. Wolfgang Herger, der die Erklärung vortrug, hob hervor, dass wie bekannt ist, besonders in Dresden, in Leipzig und in Berlin am 7. und 8. Oktober eindeutig zu Ausschreitungen gegen die staatliche Sicherheit und die öffentliche Ordnung kam, das friedliche Leben der Bürger gefährdet wurde. Die Bilanz, 106 Verletzte unter den Angehörigen der Schutz und Sicherheitsorgane, 46 bei den Demonstranten. In Berlin habe die so genannte Demonstration vom Alexanderplatz aus mit dem Ruf 'Auf zum Brandenburger Tor' begonnen. Dies musste nach Aufklärungsergebnissen als Aufforderung zu einem massenhaften gewaltsamen Grenzdurchbruch aufgefasst werden.“

Die Vorbereitungen der Staatsmacht auf die Demonstration am 9. Oktober in Leipzig deuteten auf einen militärischen Eingriff hin. Eine gewaltsame Auflösung der Proteste, wie auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking wenige Monate zuvor, schien nicht ausgeschlossen zu sein. Mehr als 70.000 Menschen aus Leipzig und aus vielen anderen Städten der DDR demonstrierten dennoch an diesem Montag auf dem Leipziger Innenstadt-Ring.

Leipziger Persönlichkeiten und die Sekretäre der SED-Bezirksleitung hatten gemeinsam eine Erklärung formuliert, in der zur friedlichen Besonnenheit aufgerufen wurde und in der die Verfasser versprachen, sich für den Dialog mit der Regierung einzusetzen. Die Erklärung wurde am 9. Oktober im Radio der DDR und über die Lautsprecher auf der Straße in Leipzig von Kurt Masur verlesen.

Die Demonstranten forderten „Freie Wahlen!“; „Wir sind das Volk!“ und „Keine Gewalt“ wurden zu Parolen des Tages. Tausende von Einsatzkräften säumten am Abend des 9. Oktober den Weg der Demonstranten. Die Bevölkerung wurde vor der Teilnahme an der Demonstration gewarnt. Die Situation war angespannt. Weder die SED-Verantwortlichen noch die Demonstranten wussten, wie dieser Abend verlaufen würde.

Die erwarteten Zusammenstöße mit der Staatsmacht blieben aus. Die nicht genehmigte Demonstration über den Leipziger Innenstadt-Ring verlief tatsächlich gewaltlos, da die großen Menschenmassen die geplante Niederschlagung unmöglich machten – in der gesamten DDR löste die Nachricht von dem friedlichen Verlauf große Erleichterung, Freude und Hoffnung aus. 

Erich Honecker hatte am 26. September den Geheimbefehl Nr. 8/89 erlassen, laut dem „Krawalle“ dieser Art „von vornherein zu unterbinden“ seien. Dieser wurde am 9. Oktober 1989 nicht ausgeführt.

Die staatliche Nachrichtenagentur der DDR ADN (Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst) berichtete zwei Tage später in üblicher ideologisch gefärbter Weise über „Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“, außerdem seien „staatsfeindliche Parolen“ gerufen und Einsatzkräfte der Volkspolizei von Demonstrierenden körperlich angegriffen worden. Das Politbüro der SED erklärte, dass man gegen „Vorschläge und Demonstrationen (…) [sei], hinter denen die Absicht steckt, Menschen irrezuführen (…)“.

Der friedliche Verlauf der Demonstration am 9. Oktober 1989 in Leipzig ermutigte mehr und mehr Bürger, ihre Meinung auf der Straße kund zu tun. Die Zahl der Demonstrationsteilnehmer nahm in den folgenden Wochen weiter zu und das Spektrum der Forderungen erweiterte sich. Mit Transparenten wurde die Zulassung der Bürgerbewegung „Neues Forum“, Reisefreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit, die Offenlegung aller Wirtschafts- und Umweltinformationen und demokratische Wahlen gefordert.

Mit der Demonstration vom 23. Oktober reagierten die Demonstranten auf die Absetzung Honeckers und weiterer führender SED-Funktionäre, die ein paar Tage zuvor am 18. Oktober verkündet wurde. Nach den Friedensgebeten in sechs Leipziger Kirchen zogen etwa 150.000 Menschen über den Stadtring und forderten auf Transparenten „Egon, lass Taten folgen!“, womit sie sich an den neuen SED-Generalsekretär Egon Krenz wendeten.

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Nach der Grenzöffnung

Mit der Grenzöffnung der DDR zur BRD und nach Westberlin am 9. November war die drängende Forderung nach Reisefreiheit erfüllt. Dementsprechend rückten andere Themen in den Vordergrund. Am 13. November fanden in sieben Kirchen Leipzigs Friedensgebete statt und es gingen 150.000 Teilnehmer auf die Straße, um gegen den Führungsanspruch der SED zu demonstrieren.

Am 20. November kam auf der Kundgebung der Montagsdemonstration erstmals die Forderung nach der Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands. Die Forderungen konzentrierten sich darüber hinaus auf freie Wahlen und die Abschaffung des umstrittenen Führungsanspruchs der SED.

Die Demonstration vom 27. November mit ca. 200.000 Teilnehmern war geprägt von Rufen nach demokratischer und ökonomischer Erneuerung der DDR, Rechtsstaatlichkeit, und nicht zuletzt von der immer mehr in den Vordergrund tretenden Forderung nach „Deutschland, einig Vaterland!“.

Besetzung der Leipziger Zentrale für Staatssicherheit

Am 1. Dezember wurde auf einer Volkskammertagung der Führungsanspruch der SED aus Artikel eins der Verfassung gestrichen, womit formal der Partei-Diktatur ein Ende gesetzt war. Die Demonstrationsteilnehmer verlangten nun die Aufdeckung von Amtsmissbrauch und Korruption ehemaliger Spitzenfunktionäre. Während der Demonstration am 4. Dezember zogen die Demonstranten zum Gebäude der Staatssicherheit Leipzigs, der so genannten „Runden Ecke“, wo sich schon 30 Bürgerrechtler Zugang zum Gebäude verschafft hatten. Das Gebäude wurde an diesem Tag stundenlang von mehreren Tausend Demonstranten gesichert, um ein Vernichten der Akten zu verhindern.

Am 17. Dezember fand nach der sonst üblichen Demonstration im Anschluss an das Friedensgebet eine Schweigepause im Andenken an die Opfer von Gewalt und Unterdrückung in der DDR statt. Jeder Teilnehmer hielt eine brennende Kerze in der Hand, das Symbol der friedlichen Revolution in der DDR.

In den kommenden Wochen stand die Diskussion um die Wiedervereinigung und die für März 1990 angesetzten ersten und einzigen freien Volkskammerwahlen der DDR im Mittelpunkt der Montagsdemonstrationen. Die letzte Montagsdemonstration fand in Leipzig am 12. März 1990 statt.

Literatur

Bahrmann, Hannes; Links, Christoph: Chronik der Wende. Die DDR zwischen 7. Oktober und 18. Dezember 1989, Berlin 1994.

Bahrmann, Hannes; Links, Christoph: Chronik der Wende 2. Stationen der Einheit: Die letzten Monate der DDR, 2. Aufl., Berlin 1995.

Jankowski, Martin: Der Tag, der Deutschland veränderte. 9. Oktober 1989 (Schriftenreihe des Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Band 7), Leipzig 2007.

Leipziger Demontagebuch. Demo-Montag-Tagebuch-Demontage. Zusammengestellt von Wolfgang Schneider, 3. Aufl., Leipzig; Weimar 1990

Neubert, Ehrhart: Geschichte der Opposition in der DDR 1949 – 1989, Berlin 1997.  

(gw/jw)