1989 - 1990 Wende-Zeiten

Neuer Alltag in der DDR: Das erste Mal…

Der Umschwung, den die friedliche Revolution in der DDR mit sich brachte, wirkte sich nicht nur politisch aus, sondern beeinflusste in ganz entscheidendem Maße auch das alltägliche Leben der Bevölkerung. Das Warenangebot veränderte sich, neue Verkehrswege öffneten sich und die Unterhaltungsindustrie hielt neue Angebote bereit. Viele Ereignisse fanden in dieser Phase des kulturellen und sozialen Umbruchs in der DDR zum ersten Mal statt und veränderten den Alltag der ostdeutschen Bürger.
Neben den politischen Veränderungen, die die Jahre 1989 und 1990 prägten, fand in der DDR in dieser Zeit auch ein sozialer und struktureller Wandel statt, der sich auf viele unterschiedliche Bereiche der Gesellschaft auswirkte. Durch den Strom westlicher Waren auf den Konsumgütermarkt der DDR veränderte sich das Warenangebot und die Unterhaltungsindustrie öffnete sich schnell für westliche Einflüsse. Die Infrastruktur wurde zügig ausgebaut, um die östlichen und westlichen Landesteile miteinander zu verbinden. Neue Bauvorhaben wurden geplant und marode Gebäude saniert, um Wohnraum schaffen zu können. Auch auf den Journalismus hatte die Wende einen großen Einfluss. Gesellschaftliche Belange wie Umweltfragen wurden von nun an öffentlich diskutiert und Bürger aus Ost und West begannen, sich gemeinsam zur Durchsetzung ihrer Ziele und Vorstellungen zu organisieren. Der ostdeutsche Alltag veränderte sich und über die zahlreichen Ereignisse, die in der DDR zum ersten Mal stattfanden, informierte der Deutsche Fernsehfunk (DFF) seine Zuschauer. Im Folgenden ist eine kleine Auswahl aufgeführt.
 

Bereits im Dezember 1989 erschien im Männermagazin Playboy das erste Playmate aus der DDR. Die 21 Jahre alte „Miss Januar“, Anja Kossak, eine Zahnarzthelferin aus Magdeburg, sollte gemäß der „Playmate-Philosophie“, das „Girl Next Door“ darstellen. Über den Abdruck des ersten DDR-Playmates im deutschen Playboy teilten sich die Meinungen. Die einen sahen es als Zeichen, dass sich die Zeiten ändern und die Gesellschaft offener wurde, bei anderen nährte sich die Angst vor einem Werteverfall, der sich durch „westliche“ Einflüsse zu entwickeln drohte.

Die Eröffnung des ersten Beate-Uhse-Ladens in Ost-Berlin im November 1990 erweckte großes öffentliches Interesse. Die Kundschaft strömte in den Laden, um das Warenangebot aus über 1000 Artikeln zu begutachten, sich inspirieren zu lassen oder auch um sich die eine oder andere Besonderheit mit nach Hause zu nehmen.

Auf dem Konsumsektor zeigten sich die Veränderungen des DDR-Alltags nach dem Mauerfall eindrücklich. Nachdem jahrzehntelang für die breite Bevölkerung nahezu ausschließlich eigenproduzierte Ware der DDR bzw. Ware aus den „kommunistischen Bruderländern“ zu bekommen war, öffnete sich der Markt im Herbst 1989 schlagartig und viele neue internationale Produkte fanden den Weg in die Verkaufsregale.

Die Eröffnung des ersten Supermarkts der DDR im März 1990 in Haldensleben war ein besonderes Ereignis für die Konsumenten und stand für die neue Ära auf dem Konsumsektor. Zunächst wurden noch überwiegend DDR-Waren verkauft, die bis zur Währungsunion am 1. Juli 1990 auch noch mit DDR-Mark bezahlt wurden. Geplant und realisiert wurde dieser Supermarkt von einer Ost-West-Kooperation zwischen der Handelsorganisation der DDR und einer Handelskette aus dem Westen.

Der erste Sommerschlussverkauf in der DDR, der im Juli 1990 stattfand, lockte viele Kunden in die Geschäfte. Sowohl aus Ost-, als auch aus West-Deutschland kamen Interessierte und Kaufwillige und drängten in die Geschäfte. Die Konsumfreude war zwar aufgrund der unsicheren politischen und damit auch finanziellen Lage getrübt, dennoch nahmen viele DDR-Bürger diese Gelegenheit wahr, um einige „Schnäppchen“ nach Hause zu tragen. Die neue Vielfalt in den Geschäften machte gerade diesen ersten Sommerschlussverkauf zu einem besonderen Erlebnis für die DDR-Bürger.
Auf dem Gebiet der Infrastruktur und im Bauwesen wurden 1990 wichtige Weichen für die Zukunft gestellt. Einer Bestandsaufnahme der DDR-Infrastruktur folgte eine Neuausrichtung der Bau- und Entwicklungspläne. Der Schwerpunkt lag dabei auf den Verkehrswegen zu den umliegenden Nachbarländern. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Ausweitung des aktuellen Schienennetzes und auf eine Vernetzung zwischen den beiden deutschen Staaten gelegt. Der erste Lückenschluss zwischen den Eisenbahnnetzen im Werratal im April 1990 stellte die Verbindung zwischen Rhein-Main, Rhein-Ruhr einerseits und Sachsen, Thüringen andererseits her.
Die Wiedereröffnung des Fahrgastschiffsverkehrs zwischen Potsdam und Berlin-Wannsee nach 37 Jahren war ein besonderer Moment, der Ost und West im wahrsten Sinne des Wortes wieder miteinander verband. Viele Bürger feierten am 3. März 1990 das Ereignis mit einem kleinen Volksfest und nutzten die Gelegenheit, an einer der ersten Fahrten teilzunehmen.
Die erste deutsch-deutsche Berliner Bauwoche, die vom 27. Oktober bis zum 4. November 1990 stattfand, wurde von Magistrat und Senat gemeinsam organisiert. Die einwöchige Veranstaltung beinhaltete unter anderem Ausstellungen, Gesprächsrunden, Stadtrundfahrten und Baustellenbesuche mit dem Ziel, interessierten Bürgern Informationen zu Fragen des Bauens und Wohnens in Berlin zu geben. Die Expertenrunden waren sich einig, dass vor allem in den östlichen Stadtbezirken Berlins starker Modernisierungsbedarf bestand. Um diese Modernisierung in Gang zu bringen, sollten die Bürger stärker involviert werden und mit Hilfe von Finanzhilfen dazu befähigt werden, sich um den Erwerb und die Renovierung eigener Immobilien kümmern zu können.

Der Zeitungsmarkt der DDR wurde nach dem Mauerfall rasch bunter und vielfältiger. Am 26. Januar 1990 kam die erste deutsch-deutsche Zeitung der DDR, „Wir sind Leipzig“, heraus, die mit Hilfe eines Verlags aus Nordrhein-Westfalen gedruckt worden war. Viele freiwillige Helfer trugen kostenlose Probeexemplare der Zeitung in ihren Wohngebieten aus oder verteilten sie auf der Straße an Interessierte. Bei einer Umfrage der Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ äußerten sich die befragten Bürger positiv über die Existenz einer unabhängigen regionalen Zeitung. Ein Passant stellte in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Unabhängigkeit der Medien von Politik heraus:

„Wichtig ist, dass auch Zeitungen rauskommen, die garantiert parteifrei von unserer Seite aus sind. Ich mein, dass nicht ganz ohne Partei ist ne Zeitung, ist auch klar. Aber ich glaube, die Möglichkeit, dass man das Gefühl kriegt, dass die Politik, die alte Politik, sich nicht mehr so einheitlich durchsetzt, ist doch schon was wert.“

Am 5. April 1990 erschien die erste Ausgabe der Zeitung „Der Kietz“. Die erste Auflage der Druckschrift für die Ostberliner Stadtbezirke Pankow, Prenzlauer Berg und Weißensee betrug 50.000 und wurde von Helfern in altberliner Kostümen an die Bürger verteilt. Die Finanzierung des Kommunalblattes sollte mit Hilfe privater Geschäftsannoncen funktionieren und den Bürgern Informationen mit Relevanz für ihren Kietz bieten.
Der erste deutsch-deutsche Journalistentag nach dem Mauerfall fand am 25. April 1990 statt und wurde vom bundesdeutschen Journalistenverband organisiert. Diese Veranstaltung, die unter dem Motto des Informations- und Erfahrungsaustauschs stand, besuchten über 1.000 Journalisten aus Ost und West. Die „Invasion“ westdeutscher Zeitungen und Zeitschriften auf den DDR-Pressemarkt, die bereits kurz nach der Maueröffnung begann, war für Journalisten aus dem Osten ein Grund zur Besorgnis und stärkte den Wunsch nach direkter Kommunikation und einem Erfahrungsaustausch mit den westdeutschen Kollegen.

Im Leipziger Hotel Mercur fand vom 26. bis 28. August 1990 das erste gesamtdeutsche Medienforum der Friedrich-Ebert-Stiftung statt. Die Veranstaltung hatte primär die Zukunft der Medien in Deutschland zum Thema und wurde von Vertretern von Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen, von Mediengewerkschaftlern und Wissenschaftlern aus Ost und West besucht. Die Fachkräfte aus der Medienbranche diskutierten über den medienpolitischen Umbau, der dem Land bevorstand sowie über Konzepte für Landesrundfunkanstalten im Osten. Der Journalist und Moderator des Forums, Reinhard Appel, resümierte:

„Und das Selbstverständnis der DDR, auch der Kollegen hier in der DDR, das immer wieder angemahnt wurde, darf nicht untergehen durch diesen Beitritt. Das soll sich dann auch organisatorisch ausdrücken, indem man also doch etwas, zum Beispiel einen, einen dritten Kanal im Fernsehen belässt, der sich speist aus diesen Landesregionalanstalten, um das Stück Identität für den Übergang zur Normalität noch zu erhalten.“

Am 2. April 1990 eröffnete in der Hannoverschen Straße das erste Greenpeacebüro der DDR in Ost-Berlin. Die Existenz von Umweltproblemen in der DDR war jahrelang ein Tabu-Thema im Arbeiter- und Bauernstaat gewesen. Gruppen, die sich mit ökologischen Fragestellungen beschäftigten, wurden vor der friedlichen Revolution der Opposition zugerechnet und standen unter Beobachtung. 1990 gründeten sich neben Greenpeace verschiedene andere Umwelt- und Naturschutzorganisationen in Ostdeutschland wie der Naturschutzbund der DDR oder der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der fünf Landesverbände aufbaute.
Die Umwelt als gesamtdeutsches „Problem“ war am 20. November 1990 Thema der ersten gesamtdeutschen Klimatagung. Die Teilnehmer diskutierten über die Auswirkungen des Treibhauseffekts und versuchten, einen Maßnahmenkatalog zum Schutz der Umwelt zu erarbeiten. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Koordination von Forschungsprogrammen und –projekten, um gemeinschaftlich und einheitlich für die Zukunft planen zu können.

Der erste Ostermarsch, den Ost- und West-Berliner gemeinsam begingen, führte  am 15. April 1990 durch beide Teile der Stadt. Mit 15.000 Teilnehmern traf diese Veranstaltung auf große Resonanz in der Bevölkerung. Im Mittelpunkt dieses deutsch-deutschen Ostermarsches standen Forderungen nach Frieden, Solidarität und Entmilitarisierung, die beide Seiten mit ihrer Teilnahme bekräftigten.

Der Mauerfall und die nahende Wende brachten eine Problematik in die Schlagzeilen der DDR-Presse, auf die von staatlicher Seite aus reagiert werden musste: Obdachlosigkeit. „Offiziell“ hatte es so etwas bisher in der DDR nicht gegeben. Nach dem Mauerfall konnte dieses Problem aber auch im Osten nicht mehr geleugnet werden, insbesondere vor dem Hintergrund der noch bestehenden allgemeinen Wohnungsnot. Die Wahrnehmung dieses Phänomens in der Öffentlichkeit brachte in der Bevölkerung die Befürchtung auf, dass diese Problematik andauern und sich womöglich noch verstärken könnte.

Die Eröffnung des ersten Obdachlosenheims in Ost-Berlin im November 1990 sollte deshalb ein Zeichen dafür sein, dass vom Staat Hilfe zu erwarten war. Zu den ersten Bewohnern dieses Obdachlosenheims gehörten eine vierköpfige Familie, die nach ihrer Rückkehr in die DDR ihre alte Wohnung nicht mehr beziehen konnten, sowie Bürger, die aus unterschiedlichsten Gründen ihre Miete nicht mehr bezahlen konnten.

Literatur

Sommer, Stefan: Lexikon des Alltags der DDR. Von „Altstoffsammlung“ bis „Zirkel schreibender Arbeiter“. Berlin 1999.

Mitteldeutscher Rundfunk (MDR) Leipzig (Hrsg.): Alltag in der DDR: Menschen, Bilder, Dokumente. Weltbild.

Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn (Hrsg.): Der Alltag in der DDR. Bonn 1986.

Neues Deutschland. Organ des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Berlin 1990.

Berliner Zeitung. Berliner Verlag, Berlin 1990.

(aw)