1989 - 1990 Wende-Zeiten

Veränderungen in der Berichterstattung: Die "Aktuelle Kamera"

Die Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ unterstand direkt der Abteilung „Agitation und Propaganda“ des Zentralkomitees der SED. Bis zur friedlichen Revolution in der DDR agierte die Nachrichtensendung als Sprachrohr der amtierenden Regierung. Erst mit der Auflösung der Agitationskommission und der Abteilung für Agitation beim ZK der SED endete im Oktober 1989 die zentral gesteuerte Anleitung der Massenmedien der DDR. In einer offiziellen Erklärung der SED-Kreisleitung Fernsehen am 3. November 1989 bekannte man sich zum Missbrauch durch „dirigistische Eingriffe“ und entschuldigte sich bei den Bürgern der DDR.
Die Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ wurde in der DDR als Agitations- und Propagandainstrument der DDR-Staatsführung genutzt. Auf die Inhalte der Meldungen in der „Aktuellen Kamera“ nahm die Abteilung Agitation und Propaganda beim Zentralkomitee der SED direkten Einfluss. Eine kritische Reflexion der politischen und gesellschaftlichen Ereignisse im Sinne einer freien Meinungsäußerung und nach Regeln der Pressefreiheit war somit nicht möglich. Eine Veränderung in der Berichterstattung der „Aktuellen Kamera“ vollzog sich erst im Herbst 1989.

Im Mai 1989 begann Ungarn seine Grenzbefestigungen zu Österreich abzubauen. In einem symbolischen Akt durchtrennte der ungarische Außenminister Gyula Horn am 27. Juni 1989 den Stacheldrahtzaun an der Grenze zu Österreich. Als Folge dieser Grenzöffnung kam es in der DDR zu einer Fluchtwelle über die Grenze Ungarn/Österreich. In der Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens „Aktuelle Kamera“ wurde auf diese Ereignisse nicht eingegangen. Erst am 22. Juli 1989 sendete die „Aktuelle Kamera“ eine Nachrichten-Verlese zur Mitteilung des Reisebüros der DDR und Jugendtourist „(…) das der Reiseverkehr zwischen der DDR und der Volksrepublik Ungarn ohne Einschränkungen verläuft. Anderslautende Meldungen aus den westlichen Medien sind verleumderisch.“

Durch die anhaltende Flüchtlingswelle von DDR-Bürgern musste im August 1989 die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Prag vorübergehend wegen Überfüllung geschlossen werden. Als Reaktion auf die Massenflucht zeigte die "Aktuelle Kamera" am 13. August 1989 ein Interview mit DDR-Bürgern, die aus der Bundesrepublik in die DDR zurückgekehrt waren. In diesem Interview schilderten die "Rückkehrer" ihre negativen Eindrücke von der Bundesrepublik.
Mit einer Sprachmeldung informierte die „Aktuelle Kamera“ ihre Zuschauer am 30. September 1989 über die Ausreisegenehmigung für DDR-Flüchtlinge, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Prag befanden.
In der Berichterstattung des DDR-Fernsehens spiegelte sich zu diesem Zeitpunkt noch kritiklos die offizielle Argumentation der Staatsführung wider. So wurde der Bundesrepublik etwa vorgeworfen, durch organisierten Menschenhandel und den Bruch des Völkerrechts für die große Zahl von ausreisewilligen DDR-Bürgern verantwortlich zu sein.
Als politische Reaktion seitens der DDR kam es zur Aussetzung des pass- und visafreien Grenzverkehrs zwischen der DDR und der CSSR.

Unbeeindruckt von den Ereignissen im Land, wurde der 40. Jahrestag der Gründung der DDR mit den gewohnten Staatsfeierlichkeiten begangen. Auf der Festveranstaltung im Zentralkomitee anlässlich des Jahrestages zitierte Erich Honecker eine Losung aus der Gründungszeit der DDR „Vorwärts immer – Rückwärts nimmer“. Er prangerte „Die zügellose Verleumdungskampagne, die derzeit international koordiniert gegen die DDR geführt wird (…)“ an. Zu den Feierlichkeiten anlässlich des 40. Jahrestages weilte auch Michail Gorbatschow in Berlin. Auf derselben Festveranstaltung im Zentralkomitee würdigte er zwar die Leistungen der DDR, betonte aber auch die Richtigkeit des von ihm angestrebten Reformkurses.

Während der offiziellen Staatsfeierlichkeiten am 7. Oktober 1989 demonstrierten Bürger am Alexanderplatz für die Notwendigkeit von Reformen in der DDR. In der Berichterstattung vom 8. Oktober informierte die „Aktuelle Kamera“ mit einer Sprachmeldung über die Festnahme der Demonstranten am Alexanderplatz: „Die Randalierer, die gemeinsam mit Medien aus der BRD republikfeindliche Parolen während der Volksfeste riefen, wurden durch die Polizei festgenommen.“

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In den folgenden Tagen sendete die „Aktuelle Kamera“, wie am 9. Oktober 1989, in ihren Beiträgen Meinungsäußerungen von Bürgern die sich empört über die antisozialistischen Störversuche während der Volksfeste äußerten.
Reporter Olaf Dietze kommentierte in der gleichen Sendung: „Die Randalierer haben ins Visier genommen was hier aufgebaut wurde und aufgebaut wird, eben den Sozialismus (…)."
Am 10. Oktober 1989 strahlte die „Aktuelle Kamera“ eine Mitteilung des Ministeriums des Inneren aus, in der zu den Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit Stellung genommen wird: „(…) erst nachdem alle Ermahnungen zur Gewaltlosigkeit und Zurückhaltung unfruchtbar geblieben seien, sei der Einsatz von Ordungskräften (…) unumgänglich gewesen."
Bisher richteten sich die Beiträge und die Kommentare der „Aktuellen Kamera“ nach der offiziellen politischen Vorgabe, ausschließlich über die Erfolge der DDR auf allen Gebieten zu informieren. Diese, den Erfolg betonende Berichterstattung, sollte zwar etwas analysierter erfolgen, aber doch prinzipiell beibehalten werden. Der Reporter Michael Illner kommentierte in einem Beitrag der „Aktuellen Kamera“ vom 15. Oktober „Zur Gemütslage der Bürger der DDR“, über die Rolle der Medien: „(…) weiterhin über Erfolge und nicht über Misserfolge zu berichten, diese dafür aber gründlich und analysiert darzustellen (…)“.

Die „Wende“ in der Berichterstattung der „Aktuellen Kamera“

Am 18. Oktober 1989 wählte das neunte Plenum des Zentralkomitees Egon Krenz einstimmig zum neuen Generalsekretär und verkündete den Rücktritt Erich Honeckers. Auch der  ZK-Sekretär für Agitation und Propaganda, Joachim Herrmann, quittierte seinen Dienst. Mit der folgenden Auflösung der Agitationskommission und der Abteilung für Agitation beim ZK der SED endete die zentral gesteuerte Anleitung der Massenmedien der DDR. Erstmals forderte Dagmar Mielke in einem Kommentar über die Demonstrationen in der „Aktuellen Kamera“ vom 22. Oktober 1989, in der Zukunft verstärkt die eigene journalistische Sicht in die Beiträge einfließen zu lassen.

Klaus Schickhelm, von 1984 bis 1990 Chefredakteur der „Aktuellen Kamera“, richtete sich am 30. Oktober  persönlich an seine Zuschauer, um die veränderten Programmziele der Nachrichtensendung kund zu tun und das Vertrauen der Zuschauer wieder zu gewinnen. Die Zuschauer sollten ab nun eine schnelle und wahrheitsgetreue Berichterstattung geboten bekommen.
Am 3. November sendete die Spätausgabe der „Aktuelle Kamera“ "Ak zwo" eine Erklärung der SED-Kreisleitung des DDR-Fernsehens, in der sich zur „Mitverantwortung an der entstandenen Krisensituation“ bekannt wurde: „Wir haben es zugelassen, dass unser Medium durch dirigistische Eingriffe missbraucht wurde. Es gilt, den öffentlichen Dialog auf dem Bildschirm zu führen.“
Mit dieser Erklärung wurde die „Wende“ in der Berichterstattung der „Aktuellen Kamera“ offiziell vollzogen.

Bereits am 21. November 1989 erklärte die SED-Kreisleitung im Fernsehen der DDR geschlossen ihren Rücktritt. Nach 35 Dienstjahren räumte auch Heinz Adameck, der Vorsitzender des Staatlichen Komitees für Fernsehen, an diesem Tag seinen Posten.

Auf Weisung von DDR-Ministerpräsident Hans Modrow beschloss der Ministerrat am 30. November 1989 die grundsätzliche Auflösung der Staatlichen Komitees für Rundfunk (1) und Fernsehen. Modrow setzte zudem neue Generalintendanten für Fernsehen und Rundfunk zum 1. Dezember 1989 ein: Hans Bentzien und Manfred Klein.

Mit der Auflösung der Abteilung für Agitation im ZK der SED und dem Wechsel der Führungsspitze im Rundfunk und Fernsehen der DDR wurden gänzlich neue Voraussetzungen für eine unabhängige Berichterstattung geschaffen.

Am Tag der Maueröffnung, am 9. November 1989, informierte die „Aktuelle Kamera“ noch zurückhaltend sachlich von der „Regelung des neuen Reisegesetzes“. Günter Schabowski hatte diese auf der Pressekonferenz des ZK der SED verlesen ohne die Sperrfrist der Meldung zu beachten, die auf den 10. November festgelegt war. In der Hauptausgabe der "Aktuellen Kamera" um 19.30 Uhr und in der Spätausgabe wurde zwar vermeldet, dass die neue Reiseregelung "ab sofort" in Kraft träte. Von einer Grenzöffnung war jedoch nicht die Rede.

Erst am darauf folgenden Tag berichtete die „Aktuelle Kamera“ ausführlich und live von der Lage am Brandenburger Tor. Nachrichtenreporter informierten über die Situation an den Grenzübergängen in Berlin und entlang der deutsch-deutschen Grenze.

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Im Februar 1990 wurde mit dem Beschluss der Volkskammer der DDR zur Medienfreiheit auch der gesetzliche Rahmen für einen unabhängigen Journalismus unter Bedingungen der Pressefreiheit geschaffen. Mit dem Gesetz zur Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit in der DDR war das DDR-Fernsehen nun auch offiziell unabhängig von der Regierung der DDR.

Günter Maleuda, Präsident der Volkskammer, rief am 5. Februar 1990 den Tagesordnungspunkt zu dem neuen Gesetz auf.

Die Volkskammer beschloss darüber hinaus die Konstituierung eines Medienkontrollrates, der dafür sorgen sollte, dass die Unabhängigkeit der DDR-Medien auch in Zukunft gewährleistet bleiben sollte. Der Medienkontrollrat konstituierte sich am 13. Februar 1990. Ihm gehörten 23 Repräsentanten der Parteien und Gruppierungen des Runden Tisches, der Volkskammerfraktionen, der Kirchen und der Regierung der DDR an.

Die Teilnahme von Vertretern der Volkskammerfraktionen wurde in einer Ergänzung zum Beschluss der Volkskammer zum Mediengesetz hinzugefügt und konnte am 5. Februar 1990 mehrheitlich abgestimmt werden. Günter Maleuda rief zur Abstimmung über das Gesetz auf, das ohne Gegenstimmen angenommen wurde.

Das zu diesem Zeitpunkt festgelegte Datum der Konstituierung des Medienkontrollrates vom 12. Februar 1990 wurde letztendlich auf den 13. Februar verschoben.

Die Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ veränderte sich im Jahr 1990 inhaltlich weiter und auch in ihrer Sendungsstruktur und Präsentationsform gab es Neuerungen.

Der Sendetitel der Hauptausgabe der Nachrichten wurde im März 1990 in „AK am Abend“ geändert.

Nachfolgend startete eine Mittagsausgabe der Nachrichten, mit dem Titel „AK am Mittag“. Aus der ersten Tagesausgabe der Aktuellen Kamera wurde die „AK am Morgen“, die in einer verkürzten Fassung von 15 Minuten präsentiert wurde.

Die inhaltlich redaktionellen Veränderungen in der „Aktuellen Kamera“ spiegelten sich deutlich in der Zuschauerresonanz wieder. Die Sehbeteiligung wurde neben der Bewertung von Sendungen in der Abteilung Zuschauerforschung beim DDR-Fernsehen dokumentiert. Aus diesen Unterlagen stammen folgende vergleichende Zahlen der Sehbeteiligung der Sendung „Aktuelle Kamera“ und „AK am Abend“.

Sehbeteiligung der „Aktuellen Kamera“, Hauptausgabe, am 18. und 19. März 1989:

18.03.1989:   5,1 %

19.03.1989:  10,0 %

Im Unterschied dazu die Sehbeteiligung der „AK am Abend“ am 18. und 19. März 1990:

18.03.1990:   34,0 %

19.03.1990:   40,0 %

Ausblick

Die politischen Ereignisse in der DDR im Herbst 1989 hatten sich massiv auf das DDR-Fernsehen und seine Berichterstattung in der Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ ausgewirkt. Wie in allen gesellschaftlichen Bereichen hatte auch hier ein Demokratisierungsprozess eingesetzt.


Mit Wirkung des Einigungsvertrags vom 3. Oktober 1990 verlor der DFF seine öffentlich-rechtliche Eigenständigkeit. Am 14. Dezember 1990 lief die Hauptnachrichtensendung „AK am Abend“ zum letzten Mal im Deutschen Fernsehfunk. Ab dem 15. Dezember sendete die ARD auf den Frequenzen des bisherigen 1. Programms des DFF. DFF1 und DFF2 wurden als Länderkette zusammengefasst. Die Nachrichtensendung um 19.30 Uhr trug nun den Namen "Aktuell". Bis zur Einstellung des Sendebetriebs des Deutschen Fernsehfunks am 31. Dezember 1991 versorgte das Nachrichtenformat die Zuschauer täglich mit aktuellen Nachrichten.

Literatur

Bösenberg, Jost Arend: Die Aktuelle Kamera (1952-1990). Lenkungsmechanismen im Fernsehen der DDR, Potsdam 2004.


(1) In der DDR wurde der Hörfunk abweichend zu der in der Bundesrepublik üblichen Benennung als „Rundfunk der DDR“ bezeichnet.

(ue)