1989 - 1990 Wende-Zeiten

Mauermalerei und Mauerspechte

Den „antifaschistischen Schutzwall“, die Berliner Mauer, schmückten auf West-Berliner Seite bunte Graffitis und Malereien. Erst nach der Grenzöffnung konnte auch die bis dahin triste Ost-Berliner Seite künstlerisch verschönert werden. „Mauerspechte“ begangen bereits am 10. November Segmente aus der Mauer zu lösen. Am 27. November 1989 wurde schließlich der Abbau der Mauer beschlossen. 1990 entstand in Berlin-Friedrichshain die East-Side-Gallery.

Seit 1976 wurde die Berliner Mauer mit 3,60 Meter hohen Betonsegmenten ausgebaut. Obwohl Eigentum der DDR, war die Mauer von West-Berliner Seite aus frei zugänglich. Touristen, Künstler und West-Berliner Bürger bemalten die plane, graue Fläche. Anfänglich überstrichen die Grenztruppen der DDR diese Graffitis, dies wurde im Lauf der Zeit jedoch aufgegeben. 1984 fand sogar ein offizieller Malwettbewerb unter Beteiligung internationaler Künstler auf West-Berliner Seite statt.

Durch die Öffnung der Grenzen am 9. November 1989 war die Mauer auch auf Ost-Berliner Seite zugänglich geworden. Mit Unterstützung des französischen Unternehmers Daniel Boulogne bemalten am 21. November 1989 mehrere Berliner Künstler, darunter Manfred Butzmann, Leo Wolf und Hans Mendau, die Mauerfragmente am Potsdamer Platz. Zu ihrer Motivation äußerte sich die Künstlerin Sylvia Allen-Sianescu folgendermaßen:

„Wir haben mit unserer Aktion vorgehabt, Fröhlichkeit an die Mauer zu bringen von unserer Seite. Und wir wollen sie ja auch als Denkmal erhalten. Also wir wollen sie ja als, wir wollen ja daran denken. Wir wollen es nicht vergessen.“

Während die diensthabenden Grenzsoldaten nicht einschritten, stellte sich die Situation für deren Vorgesetzte anders dar. Wie für Oberstleutnant Rainer Menzel:

„Wir haben mit dem Beschluss des Ministerrates über die Veränderung des Grenzgebietes, konkret was die Staatsgrenze zu Berlin-West betrifft, folgenden Zustand. Das mit dem hier hinter uns sich befindlichen Element der Grenzsicherungsanlagen, einen Schutzstreifen. Und mit diesem Schutzstreifen wird das Grenzgebiet für die Staatsgrenze zu Berlin-West begrenzt. Sie befinden oder Sie haben ja bereits gestern dargeboten, dass an diesem Element, an der Grenzsicherungsanlage das Schild „Grenzgebiet“ befestigt ist. Somit ist also das Betreten, ich will auch sagen, das Anfassen und Anmalen eigentlich eine Gesetzwidrigkeit.“

So wurden die künstlerisch gestalteten Segmente von den Grenzschützern noch am gleichen Tag wieder übermalt.

Am 22. Dezember 1989 sendete das DDR-Fernsehen schließlich die Nachricht, dass ein offizielles Projekt zur Bemalung der Mauer auf DDR-Gebiet gestartet werden sollte. Die Initiatoren des Projekts waren die Aktionskünstlerin Heike Stephan aus der DDR und der West-Berliner Ausstellungsmanager David Monty.

Während die einen noch über die Nutzung der Mauer als Malfläche verhandelten, hatten andere bereits am 10. November 1989 mit dem „Abriss“ der Mauer begonnen. Am Brandenburger Tor waren Jugendliche an diesem Tag auf die Mauer geklettert und begannen, Teile herauszuschlagen. Im Laufe des 11. November 1989 wurde hier ein ganzes Segment aus der Mauer gelöst. Zunächst handelte es sich bei diesen Aktionen um politisch motivierte Akte des Mauerzerstörens. Aber auch als Andenken an ein bedeutendes historisches Ereignis waren die Mauerstücke bald begehrt. So "bearbeiteten" im Lauf der folgenden Wochen und Monate politisch Engagierte, Souvenirjäger und professionelle Händler die Mauer. Der „Mauerspecht“ wurde zu einem typischen Phänomen an der innerstädtischen Grenze und die Gesellschaft für deutsche Sprache nahm den Begriff „Mauerspecht“ in die Liste der Wörter des Jahres 1989 auf.

Sehr bald entstand ein lukratives Geschäft mit dem Handel von echten oder vermeintlichen Mauerstücken. Bereits zum Weihnachtsfest 1989 wurden Mauerstücke in den USA verkauft.

Am 27. Dezember 1989 gab die DDR-Regierung den Abbau der Mauer bekannt. Der Außenhandelsbetrieb Limex-Bau Export-Import erhielt von der DDR-Regierung den Auftrag, die Vermarktung der Mauer zu übernehmen. Bereits am 10. Januar 1990 hatte der Volkseigene Betrieb (VEB) Limex-Bau Export-Import das Monopol zum Verkauf von 70 bemalten Mauersegmenten, die durch die Grenzöffnungen überflüssig geworden waren. Die Erlöse sollten ausschließlich humanitären Zwecken in der DDR zugute kommen. In den folgenden Monaten wurden dann Teile der Mauer als Kunstwerke verkauft und versteigert. Einige Segmente wurden auch an ausländische Regierungen, Museen und bedeutende Persönlichkeiten verschenkt.

Das profitable Geschäft mit der Mauer, das auch viele „Mauerspechte“ mit dem Verkauf von Mauerstücken machten, kritisierte der Manager des VEB Limex-Bau Export-Import, Helge Möbius, in einem Fernsehinterview:

„Ich persönlich bin eigentlich der Meinung, wenn Touristen kommen und sich da ein Stückchen raus klopfen, da passiert gar nichts. Wenn jemand sich das holt und zuhause hinlegt – was soll man da dagegen haben? Ich hab ein bisschen was dagegen, dass die Leute das so vermarkten.“

Mit dem Abriss der Berliner Mauer wurden die DDR-Grenztruppen beauftragt. Am 19. Februar 1990 begannen sie, erste Mauerteile im Stadtzentrum Berlins am Potsdamer Platz zu entfernen. Zunächst wurden die abgetragenen Mauersegmente durch einen Metallgitterzaun ersetzt. Am 28. April begann man mit dem Abtragen der Panzersperrmauer am Brandenburger Tor. Da die Kapazitäten der Grenztruppen nicht ausreichten, wurden am 30. Mai 1990 auch westliche Firmen um kostenlose Hilfe beim Abriss gebeten. Anfang Juni wurden die Abrissarbeiten an einem Abschnitt der Mauer noch von Grenzsoldaten gestoppt, weil diese nicht informiert worden waren. Ab dem 13. Juni 1990 begann schließlich der endgültige und systematische Abbau der Berliner Mauer. Dabei halfen sowohl Angehörige der West-Berliner Polizei als auch Angehörige der Nationalen Volksarmee (NVA).

Am 1. Juli 1990 wurden alle Grenzkontrollen endgültig eingestellt, die Grenztruppen der DDR wurden am 21. September 1990 aufgelöst. Ende November 1990 war die Mauer im Innenstadtbereich Berlins fast vollständig abgetragen.

Neben der Erleichterung über den Fall der Mauer gab es auch Stimmen, die den Erhalt von Mauerabschnitten als historisches Mahnmal forderten, so z. B. Manfred Fischer, Pfarrer der Berliner Versöhnungsgemeinde, der sich für den Erhalt des Mauerabschnitts an der Bernauer Straße einsetzte:

„Wir möchten hier an dieser Stelle, Bernauer Straße, Ecke Ackerstraße, ein Stück der Berliner Mauer als Mahn- und Gedenkstätte erhalten. Wir möchten das deshalb gerne tun, weil es ja jetzt sehr schnell geht, dass rundherum die Mauer eigentlich besinnungslos abgerissen wird von beiden Seiten. Die Menschen wollen, dass das weg kommt. Das ist ja auch gut so. Aber es gibt nirgendwo eine Stelle, an der man zukünftigen Generationen zeigen kann, wie das einmal war und was hier sich alles abgespielt hat.“

Durch den Abriss der Mauer entstanden auf den ehemaligen Todesstreifen Freiflächen, über deren weitere Nutzung kontrovers diskutiert wurde. Im April 1990 initiierten die drei Berliner Künstler Anna Franziska Lobeck, Peter Schwarzbach und Manfred Butzmann die Aktion „Mauer Land Lupine“. 10 Tonnen Lupinensamen wurden von DDR-Grenzsoldaten und Mitgliedern der Initiative auf dem innerstädtischen Grenzstreifen ausgesät.

Die Bemalung der Mauer setzte sich parallel zu ihrem Abriss auch 1990 fort. Allerdings standen immer weniger geeignete Flächen zur Verfügung. Ein 1,3 km langes Stück an der Mühlenstraße wurde seit dem Frühjahr 1990 von internationalen Künstlern bemalt und erhielt die Bezeichnung „East Side Gallery“. Aus den Resten des „antifaschistischen Schutzwalls“ war laut der Betreiber die größte Open-Air-Galerie der Welt geworden.

Literatur

Bahrmann, Hannes; Links, Christoph: Chronik der Wende. Die DDR zwischen 7. Oktober und 18. Dezember 1989, Berlin 1994.

Berliner Mauerbilder. Mit Fotografien und einleitendem Essay von Hermann Waldenburg, Berlin 1990.

Boulogne, Daniel: The Berlin Wall. www.memorial-caen.fr (28.08.2008).

Feversham, Polly; Schmidt, Leo: Die Berliner Mauer heute. Denkmalwert und Umgang, Berlin 1999.

Flemming, Thomas; Koch, Hagen: Die Berliner Mauer. Geschichte eines politischen Bauwerks, Berlin 1999.

Flemming, Thomas; Koch, Hagen: Die Berliner Mauer. Grenze durch eine Stadt, aktual. Aufl., Berlin 2006.

Gesellschaft für deutsche Sprache: Wort des Jahres. www.gdfds.de (28.08.2008)

Hertle, Hans-Hermann: Chronik des Mauerfalls. Die dramatischen Ereignisse um den 9. November 1989, 3. Aufl., Berlin 1997.

Hertle, Hans-Hermann: Die Berliner Mauer – Monument des Kalten Krieges, Berlin 2007.

Hertle, Hans-Hermann et al. (Hg.): Mauerbau und Mauerfall. Ursachen – Verlauf – Auswirkungen, Berlin 2002.

Treeck, Berhard van: Street-Art Berlin. Kunst im öffentlichen Raum, Berlin 1999.

Wyden, Peter: Die Mauer war unser Schicksal. Aus dem Amerikanischen von Udo Rennert. Mit einer Mauer-Chronik von Hartwig Bögenholz, Berlin 1995.

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